Customer Centricity in der Assekuranz: Versicherer, ihre Kunden und die Digitalisierung

Früher war alles so schön einfach: Versicherungsunternehmen wussten genau, was wir Kunden brauchen. Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer hat uns 18 Jahre allabendlich vor dem Flimmerkasten glauben lassen, dass wir keine Versicherung ohne die seriöse, graumelierte Autorität abschließen können. Mittlerweile gehören die Werbeclips mit Herrn Kaiser schon fast zehn Jahre der Vergangenheit an und die Hamburg-Mannheimer ist im Ergo-Konzern aufgegangen. Versicherungskunden treffen ihre Kaufentscheidung immer seltener auf Grund väterlicher Belehrung, sondern wollen als partnerschaftliche Kunden eingebunden werden. Gut so. Aber um eine solche Beziehung aufzubauen, müssen Versicherer ein ernst gemeintes Kundenverständnis entwickeln.

Die Frage ist, sind Versicherungsunternehmen reif für eine solche Beziehung?

Das Ergebnis einer Online-Umfrage von Bain und Company mit Versicherungskunden aus 18 Ländern lässt vermuten, dass noch viel passieren muss, damit eine partnerschaftliche Beziehung entsteht: The harsh reality is that most insurance companies still don’t consistently deliver the value their customers are seeking. 

Wie schwer sich die Unternehmen mit einer partnerschaftlichen Kundenbeziehung tun, geht auch aus dem Trendbarometer 2018 der Versicherungsforen Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Insurance-Innovation Lab hervor: Zwar sehen Versicherer ein großes Potential in individuelleren Produkten, die jeweils auf den Kunden zugeschnitten sind. Aber gleichzeitig sagt eine Mehrheit der Versicherungsunternehmen, dass sie keine Bedeutung darin sehen, Kunden in den Produktionsprozess miteinzubeziehen.

Was steht einer partnerschaftlichen Kundenbeziehung im Weg?

Um eine echte Beziehung in Gang zu bringen, müssen Versicherungsunternehmen wissen, wo sie ihre Kunden antreffen, welche Bedürfnissen sie haben und wie informiert sie sind. Früher wusste Herr Kaiser darüber Bescheid, heute ist die Wissensbeschaffung vielschichtiger: Versicherungskunden sind auf vielen Kanälen unterwegs, online wie offline. Außerdem können sie auf Grund ihrer demografischen Werte nicht mehr so einfach in eine Schublade gesteckt werden. Schließlich leben wir in einer vielfältigen Gesellschaft, die weniger Klischees zulässt. Um Kundenzentrierung Leben einzuhauchen, muss im ersten Schritt an allen relevanten Berührungspunkten Wissen in Form von Daten gesammelt werden.

3 Gründe, warum der erste Schritt in Richtung Kundenzentrierung nicht stattfindet

  1. Weil häufig kein umfassender User Research stattfindet, sondern stattdessen der Wettbewerb kopiert wird: klar ist es weitaus bequemer beim Klassenbesten abzugucken und auf einen Research Prozess zu verzichten. Das sich Versicherer durch Kopieren nicht vom stark umkämpften Markt abheben können, ist allerdings ebenfalls klar.
  2. Weil oftmals nicht die Nutzerziele im Fokus stehen, sondern interne Ziele Vorrang haben. Nicht selten geht es sogar soweit, dass die oberste Priorität darin besteht, dem Vorstand zu gefallen – selbstredend betrifft dieses Problem nicht nur die Versicherungsbranche, sondern nahezu alle Unternehmen die Kundenzentrierung nicht leben.
  3. Weil es den meisten Versicherern an einer einheitlichen Datenspeicherung und einer zentralen Datenablage fehlt, wie auch Claudia Lang in der Studie Assekuranz 4.0 Versicherungen im digitalen Dreieck anmerkt: „Die Versicherer haben noch keine zentralisierte Datensicht, die man aber haben könnte, wenn alles digitalisiert wäre.“

3 Lösungsvorschläge für eine Beziehung auf Augenhöhe

  1. Testmentalität etablieren

Wenn eine partnerschaftliche Kundenbeziehung ein ernst gemeinter Wunsch ist, bietet das die ideale Voraussetzung für einen User Centered Design Prozess. Ein Teil dieses Prozesses besteht darin, dass neue Projekte kontinuierlich von Kunden überprüft und bewertet werden. Weitere Optimierungen werden auf Basis dieser Erkenntnisse vorgenommen und wieder getestet. Dieses iterative Vorgehen eignet sich auch perfekt für kleineren Projekte und kann dann peu à peu eine unternehmensweite Testmentalität in Gang bringen.

  1. Datenexpertise ausbauen

Wie zuvor erwähnt können die Bedürfnisse der Kunden nur aufgedeckt werden, wenn an allen relevanten Touchpoints quantitative sowie qualitative Daten gesammelt werden. Wenn durch quantitative Daten beispielsweise aufgedeckt wurde, dass 90% der Nutzer an einer bestimmten Stelle abgesprungen sind, dann ist es dringend notwendig durch qualitative Umfragen zu ermitteln, warum so viele Nutzer abgesprungen sind und wie man das verhindern könnte.

Die Herausforderung besteht hier vor allem darin, diese quantitativen und qualitativen Daten sinnvoll auszuwerten. Um sich einen Überblick aller Daten zu verschaffen und gleichzeitig den Nutzer in der Kanallandschaft besser zu verstehen, braucht man unbedingt ein Tool, das den Zusammenhang der Daten aufzeigt. In letzter Zeit haben sich Toolanbieter wie CX Omni  auf dem Markt etabliert, die dynamische Dashboards entlang der gesamten Customer Journey anbieten – inklusive Schnittstellen zu gängigen Trackingtools. Hier kann man für jeden Touchpoint Schwachstellen und Potentiale sowohl anhand von Trackingdaten, als auch anhand von Userinsights aufdecken.

  1. Den Kunden als Sparringpartner gewinnen

Im Idealfall sind Kunden gleichzeitig Sparringpartner, die mitdenken und ehrliche Kritik üben. Wenn Versicherungsunternehmen Kunden derart einbinden, ist das sicherlich nicht immer bequem, führt aber letztlich in der Entwicklung von Produkten und Services zu einer Risikominimierung, da Kundenbedürfnisse von Anfang an berücksichtig werden.

Um den Kunden als Sparringpartner zu gewinnen, muss jede Gelegenheit genutzt werden, um mit ihm in Dialog zu treten. Kundenfeedback in sozialen Kanälen bieten beispielsweise eine perfekte Gelegenheit dafür. Kundenbedürfnisse können unmittelbar abgeleitet und berücksichtigt werden.

Unternehmen, die noch eins draufsetzen möchten, nutzen Open Innovation Plattformen und fordern den Kunden offensiv auf, Entwicklungsprozesse mitzugestalten. Bei Unternehmen wie Ikea oder Starbucks ist Open Innovation ein fester Bestandteil der Kundenkommunikation. In der Versicherungsbranche ist dieser Trend zwar noch in den Kinderschuhen, aber Versicherungsunternehmen wie die ARAG zeigen mit ihrer Plattform Denkraum  ein ehrliches Interesse an Open Innovation und damit an einer partnerschaftlichen Kundenbeziehung auf Augenhöhe.

Fazit

Der Weg zum Kunden als Sparringpartner ist für Versicherungsunternehmen am Ende gar nicht mal so lang und beschwerlich wie man mitunter denken könnte: Denn die enorme Fülle an Kundendaten, über die Versicherungsunternehmen verfügen, bieten optimale Voraussetzungen, die nur darauf warten, sinnvoll genutzt zu werden.

Und das ist noch nicht alles: mit Kunden in Dialog zu treten, scheint gar nicht solch eine Hürde zu sein, wie man vermeintlich denkt. Laut des Bain’s Customer Behavior and Loyalty in Insurance Report mangelt es jedenfalls nicht an Gelegenheiten: While insurance is by nature a low-touch business, customers have an average of 2.7 insurance-related information needs per year, meaning companies have multiple opportunities to engage customers.

 

Quellen:

Bain’s Customer Behavior and Loyalty in Insurance report, By Henrik Naujoks, Darci Darnell, Andrew Schwedel, Harshveer Singh and Tanja Brettel (2018)

Studie: Assekuranz 4.0 Versicherungen im digitalen Dreieck (2018)

Trendbarometer 2018 der Versicherungsforen Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Insurance-Innovation Lab

Britta Bouziane

Britta Bouziane ist Konzepterin bei mediaworx Berlin AG und beschäftigt sich seit Ende der 90er Jahre hauptberuflich mit der digitalen Welt. Wenn Britta nicht digital unterwegs ist, joggt sie gern durch das abendliche Berlin und hört laut Garage Punk.

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