Zähneputzen wird mit Gamification zum Kinderspiel

Gamification: Wie meine Kinder zu Zahnputz-Fans wurden (Teil 1)

Eltern wissen, wie nervig es sein kann, Kinder zum Zähneputzen zu bewegen. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. In meiner dreiteiligen Artikelserie berichte ich, wie dieses Problem dank Gamification ein Kinderspiel wird.

Jeden Abend die gleiche Leier

Mütter und Väter werden die kleinen Kämpfe kennen, die sich jeden Abend bei uns zwischen Bad und Kinderzimmer abspielen und mich vom heiß ersehnten Feierabend trennen. Dann haben meine beiden Jungs nämlich folgende Agenda abzuarbeiten:

  • Kinderzimmer aufräumen
  • Tagesklamotten ausziehen
  • Sich waschen
  • Schlafanzug anziehen
  • Zähne putzen
  • Ins Bett gehen (und dort bleiben)

Natürlich sollten sie das mit 4 und 6 Jahren mehr oder minder alleine hinbekommen, aber das ist nur Theorie. Die Praxis sieht deutlich anders aus: Für jede neue Aufgabe muss ich (oder bei den ersten Punkten auf der Liste meistens meine Frau) das ganze Arsenal unserer Überredungskünste auffahren: Es beginnt mit freundlichem Bitten, geht über zu energischem Auffordern und endet leider allzu oft mit Schimpfen und Drohen. Wenn sich dann die beiden jungen Herren endlich aufgerafft haben, hält sie nur ein Dauerfeuer ständiger Ermahnungen am Ball.

Doch das alles ist inzwischen Schnee von gestern für uns – zumindest was das Zähneputzen betrifft. Und die Belege dafür sind eindeutig:

So treibt der ältere Bruder den jüngeren, einen eher langsamen Esser, beim Abendessen an, damit sie endlich gemeinsam Zähne putzen können. Wenn ich zur Zahnputzzeit ins Bad vorgehe, springen die Beiden auf und folgen mir, egal wie intensiv sie zuvor in ihr Spiel vertieft waren. Neulich wurde ich sogar gefragt, ob wir am Wochenende auch mittags Zähne putzen können. Das alles klingt wie ausgedacht, trägt sich bei uns zu Hause aber wirklich so zu!

Doch bis zu diesem paradiesischen Zustand war es ein langer Weg, der damit begann, dass die täglichen Zahnputzzeiten immer kürzer wurden. Sobald ich nämlich nur mal kurz aus dem Badezimmer schlüpfte, um abends die Kinderbetten oder morgens meine Tasche vorzubereiten, standen die Jungs keine 10 Sekunden später vor mir. Sie meinten, dass sie definitiv lange genug geschrubbt hätten, jetzt wäre ich mit Nachputzen dran. Selbstredend schickte ich sie dann ans Waschbecken zurück, wo sie allerdings mit Schnaufen und Augenverdrehen keine weiteren 20 Sekunden durchhielten.

11 Gamification-Apps im Test

So konnte das nicht weitergehen: Ein Zeitmesser musste her, damit sie künftig besser einschätzen konnten, wie lange zwei Minuten tatsächlich sind. Als technikaffiner Mensch verzichtete ich auf Eieruhren und anderen analogen Unsinn und stellte den Timer in meinem Smartphone ein. Dumm nur, dass keiner der beiden die Uhr lesen kann und sie deshalb nicht wussten, wie viel Zeit vergangen war oder wie lange sie noch durchhalten mussten. Also suchte ich nach einer anderen Lösung und fand im Android Play-Store eine Fülle von Apps zum Thema Zähneputzen. Kein Wunder, Gamification, also die spielerische Unterstützung ungeliebter Aufgaben, ist ein echtes Trendthema. Elf Programme lud ich herunter, um sie mit den Jungs zu testen.

Um es gleich vorwegzunehmen, neun der elf Apps sind glatt durchgefallen und das sowohl bei meinen Jungs als auch bei mir. Das ist durchaus nicht selbstverständlich: Bei der Auswahl der richtigen Kinderzeitschrift z.B. werden wir uns nie einig.
Vielen Apps merkte man einfach an, dass sie in wenigen Tagen von Einzelkämpfern zusammengeklöppelt wurden. Sie waren fehlerhaft, uninspiriert und schlicht nicht kindgerecht. Wenn als Erfolg einfach eine Alert-Meldung aufpoppt, in der „Great Job!“ steht, dann ist das für Kindergartenkinder weder intellektuell geeignet noch emotional inspirierend. Andere stellten medizinische Korrektheit zu sehr in den Mittelpunkt. Sie zeigen z.B. ein dreidimensionales Gebiss, in dem mit der richtigen Technik vorgeputzt wird oder nerven mit minutiösen Bedienvorgaben der Art „Start Unterkiefer hinten links, dann vorrücken nach rechts“.  Sowas löst bei den kleinen Putzern nicht unbedingt Begeisterungsstürme aus.

Gamification-Apps, die bei uns durchgefallen sind im Detail

 

Licht am Ende des Tunnels

Zum Glück sind zwei Apps übrig geblieben, die Gamification wirklich umsetzen und damit das Zeug haben, den kindlichen Spaß am Zähneputzen in eine neue Galaxie zu katapultieren. Beide lassen sich zunächst kostenlos in den einschlägigen Stores bei Google und Apple herunterzuladen, sind leicht zu bedienen, kinderfreundlich gestaltet und brennen beide nicht nur im übertragenen Sinn ein Feuerwerk von Ideen ab. Tatsächlich gibt es ein solches am Ende jeder Zahnputz-Session. Aber damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten.

Wie sie den kindlichen Spaß am Zähneputzen maximieren, ist nämlich grundverschieden. Die eine App ermöglicht das Sammeln von Bildern in Alben, die andere setzt auf Avatare, kleine Monsterchen, mit denen die Kinder gemeinsam putzen.

Beide Apps werde ich in den folgenden Teilen des Artikels ausführlich vorstellen. Den Anfang macht dabei ein wahres  Schwergewicht der Unterhaltungsindustrie. Walt Disney ist mit Procter & Gamble eine Allianz eingegangen, um gemeinsam den Magic Timer zu entwickeln. Herausgekommen ist eine App mit enormem Begeisterungspotential, die aber auch einige unschöne Überraschungen zu bieten hat, doch mehr sei hier noch nicht verraten.

Jetzt weiterlesen: Gamification Teil 2

Tim Friedmann

Tim Friedmann ist Senior UX Designer / UX Strategist bei mediaworx mit 20 Jahren Berufserfahrung. Trotzdem verblüffen ihn die Nutzer immer wieder aufs Neue.

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