Vor kurzem erschien in brandeins ein Artikel von Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff, in dem Design Thinking einer Religion gleichgesetzt wird. Und die meisten werden den Gartner Hype Cycle kennen, der Hypes auf einer Kurve in verschiedene Phasen einordnet. Einige Hypes sterben unterwegs und schaffen es nie in die Produktivität. Design Thinking ist gerade so ein Hype, und muss sich deswegen auch ohne zu murren dieser Beobachtung und Schmähung aussetzen.
Ich mache mir jedoch keine Sorgen, dass es Design Thinking – vielleicht unter einem neuen Buzzword – nicht auf das Plateau der Produktivität schafft. Aus Gründen.
Grob vereinfacht ist es nämlich so
Wenn ein durchschnittlicher Mensch ein Problem mit einem offenen Lösungsraum hat, in das andere, weniger berechenbare Menschen als er selbst, involviert sind und er sich anschickt es zu lösen, macht er oft Folgendes: Er sieht sich genau an, was das Problem ist. Fragt dann ein paar Leute, die sich damit auskennen. Entwickelt zusammen mit diesen „Spezialisten“ im Gespräch Ideen. Sucht sich aus den Ideen die vielversprechendste für sein Ziel aus. Denkt nach und probiert aus, wie er sie umsetzen könnte. Fragt die Zielpersonen, ob das Problem mit dem Ansatz der entwickelt wurde, gelöst werden kann. Und macht sich – bei positivem Feedback – an die Umsetzung.
Voilà: Design Thinking.
Will heißen: Design Thinking ist – wenn man Probleme lösen möchte in deren Lösungsraum andere Personen involviert sind, Probleme, die komplex sind und Wissen aus unterschiedlichen Richtungen, Überblick und Tiefe benötigen – eine logische und durch und durch natürliche Denkweise. Natural Thinking, sozusagen.
Sie ist gerade so populär und vielleicht sogar religionsgleich, weil Unternehmen diese Denkweise verlernt haben. Denn:
Standardvorgehensweisen in traditionellen Unternehmen sind Anti-Design-Thinking
Die Digitalisierung hat unzählige Aussagen und Buzzwords mit sich gebracht, die inzwischen vielen Akteuren bekannt sind. Nutzerzentrierung, Kollaboration und Agilität sind nur einige davon. Allein das Vokabular zu kennen reicht leider nicht, es muss auch was auf die Strasse gebracht werden. Und da fängt das Ungemach an.
Problem: Aufgabenteilung von oben nach unten
Komplexe Probleme, wie sie gerade die Digitalisierung mit sich bringt, werden in Unternehmen meistens gerade nicht mit dieser einleuchtenden Methode gelöst sondern anders. Das liegt größtenteils daran, dass viele Unternehmen noch im Taylorismus des vergangenen Jahrhunderts festhängen: Oben wird gedacht, unten gemacht.
Diejenigen, die das Problem identifizieren und oft sogar schon einen Ansatz der Lösung entwerfen, sind andere Personen als diejenigen, die sich mit der Lösung beschäftigen. Fragestellung und Umsetzung sind entfremdet. Es wird in Folge angenommen, dass die Fragestellung bereits ausgiebig beleuchtet wurde und entsprechend als Zeitverschwendung empfunden, wenn eine weitere Einlassung auf Fragestellung oder Beobachtung gewünscht wird. So wird die erste Phase im Design Thinking Prozess bereits verschenkt.
Problem: Nutzerzentrierung
Die Fokussierung auf die Bedürfnisse von Menschen (meist Kunden) ist ein weiteres zentrales Postulat von Design Thinking. Als Kernprobleme der Digitalisierung werden heute meist Technik oder Geschäftsmodell angeführt. Dabei geht es in erster Linie darum, dass die Bedürfnisse von Kunden und Mitarbeitern mit der Digitalisierung rasant angestiegen sind und Unternehmen es bei Weitem nicht schaffen, mitzuhalten. Zwei meiner Lieblingsbeispiele: Weil mindestens ein Anbieter es schafft, mir das Produkt das ich heute bestelle morgen zuzusenden, empfinde ich alle weniger schnellen Lieferungen schon als langsam. Weil ich weiß, dass es möglich ist, Daten zu speichern und abzurufen, empfinde ich einen Besuch in einem Berliner Amt, wo ich in jeder Amtsstube alle meine Daten erneut ausfüllen muss, als vorsintflutlich.
Die Herausforderung für Unternehmen in der Digitalisierung ist es, mit der Geschwindigkeit der wachsenden Kunden- und Nutzerbedürfnisse mitzuhalten. Aufgrund dessen sollte der Fokus der Betrachtung beim Menschen liegen. Anstatt dessen verharren viele weiterhin bei internen Sichtweisen der Organisation und verhindern damit regelrecht diese Auseinandersetzung. Damit möchte ich selbstverständlich nicht behaupten, die Instanz Mensch sei die einzige die zählt. Die drei Instanzen Technologie, Organisation und Mensch sind bei der Entwicklung von Lösungen hochgradig interdependent und verdienen jeweils entsprechende Aufmerksamkeit. Bedürfnisse von Kunden werden jedoch nur allzu oft hinten angestellt und erst nachrangig betrachtet.
Problem: Probleme
Oder auch: der Vorstand hat ein neues Smartphone, wir brauchen eine App. Angeblich soll Einstein ja mal gesagt haben: „Wenn ich eine Stunde hätte, um ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten über das Problem nachdenken und 5 Minuten über die Lösung.“ Ergänzend kommt von Steve Jobs: „Define the problem correctly, and you almost have the solution.“ Probleme haben im Business aber einen schlechten Ruf und werden daher auch Herausforderungen genannt. Und so kommt es auch, dass am Anfang eines Projekts anstatt über das Problem nachzudenken, direkt über Maßnahmen geredet, blinder Aktionismus wird Lösungsorientierung genannt und anstatt zu beobachten wie ein Bedürfnis erfüllt werden kann, wird technischen Trends hinterhergelaufen.
Problem: Zusammenarbeit
Beim Design Thinking wird großen Wert auf Kollaboration gelegt. Die T-shaped people – Leute mit breiter Übersicht und gleichzeitig tiefer Kompetenz in ihrem Fachgebiet – sollen zusammen zu Lösungen kommen, die sie alleine nie zustande gebracht hätten.
Unternehmen fördern jedoch immer noch eher interne Konkurrenz anstatt Zusammenarbeit. Einzelnen Projektteilnehmer haben für die Arbeitsgruppe unsichtbare Leitlinien. Dabei handelt es sich zum Beispiel um kurzfristige Umsatzziele von Abteilungen. Diese konterkarieren Lösungsprozesse, da der Einzelne – vor allem, wenn sein Gehalt davon abhängt – deutlich mehr Wert auf deren Erfüllung legt, als auf die Erfüllung der Projektziele.
Teams werden in traditionellen Unternehmen häufig angestachelt, andere Abteilungen zu bekriegen anstatt gemeinsam die bestmögliche Lösung zu finden. Und da nicht nur die finanzielle Belohnung ein großer Motivator ist sondern auch der außenstehende „Feind“, ist an solchen Stellen auch eine klare Zuordnung der Energie zu beobachten. Zumindest ist eine Kommunikation dieser hidden Agendas notwendig um Projektziele nicht zu gefährden. Besser wäre eine strategische Integration der Unternehmensziele und der Managementziele mit den Projektzielen, so dass diese sich nicht widersprechen, sondern sich – ganz im Gegenteil – wechselseitig unterstützen.
Und jetzt?
Design Thinking ist meines Erachtens nichts weiter als eine gehirnkonforme, natürliche und jahrtausende alte Methode (besser strukturiert und mit neuem Namen), um komplexe Probleme von Menschen in der gemeinsamen Anstrengung eines heterogen-kompetenten Teams zu lösen. In der jetzt vorliegenden Form hat sie das Potenzial an traditionellen Vorgehensweisen und Denkstrukturen zu rütteln und einen fast risikofreien Blick in eine neue Welt des Arbeitens zu gewähren. In motivierten Teams mit hoher Einlassung, können damit in relativ kurzer Zeit konkrete Probleme gelöst werden. Richtig entfalten kann sich Design Thinking vor allem in Unternehmen, die schon ein nutzerzentriertes, kollaboratives und agiles Mindset mitbringen.
Also doch ein Heilsversprechen?
Design Thinking kommt derzeit vielleicht wie eine Religion rüber. Ist aus meiner Sicht aber einfach nur eine Besinnung auf das Wesentliche.