Gamification: Wie meine Kinder zu Zahnputz-Fans wurden (Teil 2)

Im ersten Teil habe ich berichtet, wie meine beiden Jungs dank zweier Apps den Spaß am Zähneputzen entdeckt haben. In den nächsten beiden Teilen stelle ich die Apps nun vor. Den Anfang macht dabei ein wahres Schwergewicht der Unterhaltungsindustrie.

Gamification-Ansatz: Bilder sammeln

Die beiden Weltkonzerne The Walt Disney Company und Procter & Gamble sind eine Allianz eingegangen, um gemeinsam den Disney Magic Timer zu entwickeln. Disney möchte so seine Figuren fest im kindlichen Alltag verankern, während Procter & Gamble die hochpreisigen Zahnbürsten der Marke Oral-B ans Kind bringen will, doch dazu später mehr.

Beim Magic Timer geht es um das Füllen von Bilderalben, die jeweils einer Figur aus der Disney- oder Marvelwelt gewidmet sind. Das Spektrum reicht damit von Winnie Puh über Arielle bis zu Captain America.  Damit jedes Kind seine eigene Bildersammlung anlegen kann, muss man ihm vor dem ersten Putzen ein Konto anlegen. Dann kann es losgehen. Um Streit zu vermeiden, haben wir die Abmachung getroffen, dass der jüngere Sohn morgens zuerst dran ist und der ältere abends. Der andere wartet dann, bis er an der Reihe ist. Da anfangs nur das Mickey-Mouse-Album freigeschaltet war, haben wir zunächst das gefüllt – in doppelter Ausführung versteht sich.

Beim Start jeder Zahnputz-Session zeigt sich ein komplett mit Zahnpasta eingeschmierter Bildschirm, auf dem eine Bürste herumschrubbt, um nach und nach das Motiv freizulegen, welches das Kind bekommen wird. Dazu läuft ein Mickey-Mouse-Wecker ab, der mich stark an das Teil aus den Siebzigern erinnert, das damals auf meinem Nachttisch stand. Außerdem wendet sich die Zahnbürste alle 30 Sekunden dem Kind zu und pfeift aufmunternd. So bekommt es ein Gefühl für die verstrichene Zeit, falls es die Uhr noch nicht lesen kann.

Diese Unterbrechungen sind bei uns sofort Teil des Zahnputzrituals geworden. Der große Sohn reckt cool seinen Arm nach oben, während sein kleiner Bruder mit der eigenen Zahnbürste zurückwinkt. Nachdem der Bildschirm komplett freigeputzt wurde, landet das Bild im Album. Über ein nicht zu entschlüsselndes Verfahren erhält einer der Jungs manchmal ein Extrabild obendrauf. Das führt natürlich bei dem benachteiligten Kind zu Unmut, der allerdings erstaunlich moderat bleibt ob dieser so offensichtlichen Ungerechtigkeit. Die trauen sich was bei Disney, unglaublich! Ich hätte jedenfalls nicht den Mut dazu.

Die Bilder wurden nach dem Putzen nochmals ausgiebig im Album gewürdigt und kommentiert. Außerdem legten die Jungs schon mal fest, welches Album als nächstes dran sein sollte, „Winnie Puh“ beim jüngeren Sohn und „Monster Uni“ beim älteren.

Hier ein paar Bilder aus der Anwendung:

Gute Idee, schlechte Umsetzung

Die erste unangenehme Überraschung zeigte sich, als wir nach etwa drei Wochen das Mickey-Mouse-Album gefüllt hatten. Wir gingen davon aus, dass man dann eines der anderen Figuren-Alben füllen darf, so wie in der analogen Welt. Weit gefehlt! Bei der Disney-App kommen einfach leere Seiten im Mickey-Mouse-Album hinzu, vollkommen unkommentiert und wie von Geisterhand. Ob daher der Name Magic Timer stammt?

Um das Album einer anderen Figurenwelt freizuschalten, muss man die dazu passende Oral-B oder Crest-Zahnbürste besorgen und diese dann unter die Handy-Kamera halten. Disney folgt dabei einem neuen Trend, Produkte und Apps stärker miteinander zu verknüpfen. Bei Angry Birds Star Wars kann man zum Beispiel bestimmte Merchandising-Artikel einscannen, um weitere Spiele-Features freizuschalten.

Ich habe mich wirklich bemüht, dem sanften aber dauerhaften Druck meiner beiden Kinder standzuhalten und keine Oral-B Zahnbürste zu kaufen, denn diese kostet immerhin das Vierfache einer vergleichbaren anderen Kinderzahnbürste. Sowas ginge dann doch zu weit, man ist ja schließlich kein Sklave der Marketing-Abteilung eines Großkonzerns! Irgendwann habe ich die Dinger aber doch besorgt. Immerhin konnte ich die Anschaffung als notwendige Investition für unsere Versuchsreihe bemänteln. Was tut man nicht alles für die Wissenschaft!

Das Einscannen der Zahnbürste läuft auf meinem Smartphone der neusten Generation sehr schnell und flüssig. Sofort erscheint ein kleiner Videofilm mit der Zahnbürsten-Figur. Beim Putzen haben sich außerdem der Wecker und die Hintergrundmusik entsprechend verändert, während das Kind ein Bild mit dem passenden Motiv freischrubbt.

Leider muss die Zahnbürste bei jedem Putzen erneut eingescannt werden. So soll Mutti oder Vati wohl zum dauerhaften Oral-B-Käufer werden. Ob diese Strategie aufgehen wird? Wir werden jedenfalls mit einer anderen Bürste putzen, wenn die Borsten der Oral-B durch sind, diese aber weiter zum Scannen nutzen. Außerdem haben wir herausgefunden, dass man auch Abbildungen der Zahnbürsten verwenden kann, wie man sie in zahlreichen Internetshops findet.

Richtig ärgerlich sind aber die zahlreichen Fehler, die selbst nach einem Update der Android-Version nur teilweise behoben wurden. In der ersten Fassung fror der Bildschirm nach erfolgreichem Scan der Zahnbürste in zwei von drei Fällen ein. So was darf aus meiner Sicht nicht passieren! Der Kauf einer teuren Markenzahnbürste, sollte Eltern und Kinder belohnen und nicht für zusätzlichen Unmut und Aufwand sorgen. Dieser Fehler ist inzwischen zwar behoben, aber noch immer muss ich die App richtig beenden (und nicht nur schließen), um wieder Zugriff auf meine Kamera zu bekommen.

Ein  weiterer Fehler ist leider auch nach dem Update noch vorhanden, ein Fehler, der bei uns schon zu dramatischen Szenen geführt hat. Das Album des größeren Sohns, das er wochenlang mit Hingabe gefüllt hatte, wurde im Handumdrehen durch den kleinen Bruder ruiniert. Bilder waren weg oder durch das immer gleiche Motiv ersetzt. Dafür musste der jüngere Sohn nur die Zahnputz-Session des Bruders über das dafür vorgesehene Menü abbrechen. Mehr war nicht nötig!

Wie groß die Enttäuschung war, lässt sich leicht vorstellen. Ein väterlicher Blauhelmeinsatz war jedenfalls nötig, um den älteren Sohn zu überzeugen, dass das nicht die Schuld seines Bruders ist.

Die Idee des Magic Timers ist gut. Gamification wird hier konsequent umgesetzt, wie ich am funktionierenden Gameplay und Belohnungssystem täglich erleben kann. Dank des breiten Spektrums an Figurenwelten dürfte sie dabei Jungs und Mädels gleichermaßen ansprechen. Doch leider bleibt die Umsetzung ein Armutszeugnis für Disney. In Hinblick auf den erlebten Ärger fände ich es deshalb nur gerecht, wenn die Verantwortlichen hundertmal in Schönschrift schreiben müssten: „Ich soll meine Kunden nicht mit fehlerhaften Apps enttäuschen!“

Dass es auch anders geht, werde ich im nächsten und letzten Teil des Artikels beschreiben. Dieser widmet sich dem Konkurrenten Brusheez, deren Macher in puncto Größe und Marktmacht der reinste David gegenüber den beiden Goliaths Disney und P&G sind.

Jetzt weiterlesen: Gamification Teil 3

Tim Friedmann

Tim Friedmann ist Senior UX Designer / UX Strategist bei mediaworx mit 20 Jahren Berufserfahrung. Trotzdem verblüffen ihn die Nutzer immer wieder aufs Neue.

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