Gamification: Wie meine Kinder zu Zahnputz-Fans wurden (Teil 3)

Im ersten Teil des Artikels habe ich beschrieben, wie meine beiden Jungs dank zweier Apps den Spaß am Zähneputzen entdeckt haben. Eine der beiden Apps, den Disney Magic Timer habe ich im zweiten Teil vorgestellt. Hier geht es nun um die andere von mir getestete App Brusheez, deren Macher in puncto Größe und Marktmacht der reinste David gegenüber den beiden Goliaths Disney und P&G sind.

Von Mamas und Papas entwickelt

Brusheez wurde von einer Firma namens Shondicon entwickelt, einer erst 2013 gegründeten kleinen Company aus einem Vorort von Salt Lake City, die bislang erst diese eine App vermarktet. Die sehr schlicht gehaltene Website von Shondicon vermittelt den Eindruck, als wäre das Programm federführend von einer Mutter oder einem Vater entwickelt worden, deren Kinder ebenfalls am Zahnputz-Muffel-Syndrom leiden.

Bei Brusheez geht es nicht wie beim Magic Timer um das Sammeln von Fleißbildchen. Auf ein Belohnungssystem wird hier komplett verzichtet. Stattdessen wählt sich das Kind zunächst ein Monster aus. Die Monster sind eher von der freundlichen Art und dürften keine Albträume verursachen, auch wenn mein Jüngster ihren Einsatz aus Sicherheitsgründen auf den Morgen begrenzt, obwohl er noch nie einen Albtraum hatte. Er weiß allerdings, dass sein Bruder welche hat, und möchte gerne auch hier wie bei allen „Großer-Bruder“-Themen mitreden. Mal davon abgesehen gefallen die Monster aber beiden Kinder außerordentlich gut, was bei ihrem breiten Interessensgebiet, das sich von Jim Knopf bis Star Wars erstreckt, nicht selbstverständlich ist.

Bevor es mit dem Putzen richtig losgeht, kann das gewählte Monster nach dem Geschmack des Kindes in Bezug auf Haarfarbe, Schlafanzug und Zahnbürste angepasst werden. Außerdem lässt sich die zu- oder wieder abnehmende Milchzahn-Landschaft des Kindes im Maul des Monsters nachstellen, ein sehr nettes Feature, das von meinen beiden Jungs ausgiebig genutzt wird. Der neuste verlorene Schneidezahn des älteren Sohns wurde sofort bei sämtlichen Monstern entfernt, so wie viele weitere zum Glück nur fiktiv verlorene Zähne.

Um das Zähneputzen zu beginnen, muss man einen ulkig aussehenden Wecker mit mehreren Köpfen antippen. Sofort öffnet dann das Monster der Wahl sein Maul und eine fliegende Bürste fängt an, die Zähne abzuschrubben. Sie geht dabei sehr systematisch vor, damit es die Kinder nachmachen können. Währenddessen tickt der bereits erwähnte Wecker herunter und singt ein skurriles englisches Zahnputzlied. Die Dauer des Weckers ist bei uns auf zwei Minuten eingestellt, lässt sich aber leicht verändern. Sobald der Wecker klingelt, beendet ein Feuerwerk plus Freudensalto des Monsters das Putzen.

App mit Herzblut

Man merkt der App das Herzblut an, das in die Entwicklung hinein geflossen ist. So gibt es viele kleine Gimmicks, die meine Jungs ganz zufällig entdeckt haben. Diese lassen sich per Fingertipp auslösen und führen regelmäßig zu Lachanfällen. Zum Beispiel schließt das ausgewählte Monster den Mund, wenn man ihm den letzten Zahn wegnehmen möchte und schüttelt den Kopf. Klickt man es zu tief im Rachen an, fängt es an zu würgen. Außerdem kann man das Monster per Wischgeste um die eigene Achse wirbeln lassen, bis Sterne über seinem Kopf erscheinen und seine Pupillen unabhängig voneinander kreiseln.

Damit es auf Dauer nicht zu langweilig wird und Shondicon etwas an der App verdienen kann, lassen sich nachträglich weitere Avatare per In-App-Kauf für einen geringen Betrag freischalten.

Anbei einige Bilder, die die App im Einsatz zeigen:

Auch im Alltagseinsatz traten bislang keine Fehler oder Schwächen zu Tage, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, dass die App von betroffenen Eltern entwickelt und ihren Kindern getestet wurde. Somit zeigt sich Brusheez als rundum gelungen Sache.

 Win-Win-Situation dank Gamification

Beide Apps machen meinen Kindern viel Spaß. Mein älterer Sohn gibt allerdings dem Magic Timer den Vorzug, weil er dort Marvel-Sammelbilder ergattern kann, die auf seiner Coolness-Skala so ziemlich am oberen Ende  angesiedelt sein dürften. Darüber hinaus vermute ich, dass der Magic Timer auf Grund der Sammelmöglichkeiten den größeren Langzeitspaß bieten dürfte, auch wenn der Zahnputzhelfer von Shondicon bislang genauso hingebungsvoll genutzt wird.

Ein so konsequenter Einsatz eines Belohnungssystems, wie ihn Disney praktiziert, kann aber auch eine gewisse Abhängigkeit erzeugen, die ich bei meinem älteren Sohn zumindest ansatzweise für möglich halte. Anders lassen sich Aussagen wie diese kaum deuten: „Weißt du was für mich ist das tollste an Kita-Tagen ist, an denen ich nicht Handy spielen darf? Das Putzen mit der Disney App!“

Ob man seine Kinder einer solchen „Gefahr“ aussetzen möchte, muss jeder Erziehende selbst entscheiden. Fest steht, dass beide Apps erstaunlich gut funktionieren. Gerade Kinder im Vorschulalter, scheinen darauf voll anzuspringen, vor allem dann,  wenn der Zugang zum Smartphone stark reglementiert ist. Die Zahnputz-App fungiert hier als eine Art Ersatzdroge fürs Zocken, ein von Mama und Papa gefördertes Spiel, an dessen Ende immer ein Erfolg steht.

Gamification, also die positive Förderung ungeliebter Aufgaben durch Spiel- und Belohnungselemente, wird noch stärker unseren Alltag erobern, vor allem aber den unserer Kinder. Zahnputzapps dürften da nur die Speerspitze der Entwicklung sein. Gerade die Win-Win-Situation, die dabei für Eltern und Kinder entsteht, ist allzu verlockend. Allerdings hinterlässt diese Aussicht bei mir nicht nur positive Gefühle, wie ich schon oben angedeutet habe. Wenn selbstverständliche Alltagsleistungen immer belohnt werden, wie wird diese Generation Heranwachsender auf die Anforderungen des echten Lebens reagieren, für deren Bewältigung keine sofortige Auszeichnung winkt? Schon jetzt wird uns Helikopter-Eltern ja vorgeworfen, dass wir uns zu sehr um unsere Kinder drehen im Wunsch sie vor allem Bösen dieser Weilt zu bewahren.

Ich persönlich teile diesen Pessimismus nur bedingt. Ich glaube, dass sich unsere Kinder genauso durchsetzen werden wie jede Generation zuvor, sobald es nötig ist und von ihnen verlangt wird. Der Sprung ins kalte Wasser findet einfach etwas später statt.

Trotzdem ist es sicher sinnvoll, das weitere Eindringen von Gamification in die Welt unserer Kinder kritisch zu beobachten. Wir werden die Spielifizierung erst mal auf das Zähneputzen beschränken und freuen uns, solange der Zauber anhält!

Links zu den Gamification-Apps

Disney Magic Timer von The Walt Disney Company und Procter & Gamble:

Brusheez von Shondicon

Tim Friedmann

Tim Friedmann ist Senior UX Designer / UX Strategist bei mediaworx mit 20 Jahren Berufserfahrung. Trotzdem verblüffen ihn die Nutzer immer wieder aufs Neue.

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Ein Kommentar

  • Liebe Eltern,
    wenn Ihr Lust bekommen habt, eine der Apps mit euren Kindern auszuprobieren, dann schreibt doch hier einen Kommentar mit euren Erfahrungen. Wenn ihr das kritisch seht, dann schreibt das auch. Bin auf euer Feedback gespannt!

    Danke Tim Friedmann

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