User Centered Design Empathy

User Centered Design: Klassische Denkfehler

„Wir arbeiten nutzerzentriert“ steht im Briefing oder „Entwicklung aus Kundensicht“. Die Anzahl der Nutzer, die dann wirklich an dem Projekt beteiligt sind, ist im Idealfall größer als Null. Aber nicht immer. Nutzerzentrierung oder User Centered Design ist in vielen Projekten immer noch ein Lippenbekenntnis. Nutzerzentrierung heißt, den Nutzer der Anwendung in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen.
Ich habe mich gefragt, wo sind die klassischen Irrtümer liegen, die dieser Haltung im Weg stehen?

Irrtum 1: Meine Kunden denken wie ich, bzw. was ich denke, denken alle

Mit Abstand der häufigste aber auch der menschlichste aller Fehler: Von sich selbst ausgehen. Sagen wir mal man ist ein digitaler First Mover, fährt einen Tesla, hat eine AppleWatch und sein SmartHaus schon seit 2005 total vernetzt, dann kommt es einem naturgemäß sehr albern vor, dass andere Leute sich davor fürchten, Kreditkarten zu benutzen oder überhaupt ein Online-Konto zu haben. Dennoch gibt es sie und es gibt sie in großer Zahl – besonders in Deutschland. Einblick gefällig? Nur 50% der Deutschen nutzen Online-Banking und fast 19% geben an, Online-Banking für sehr gefährlich zu halten (Statista, 2017).

Irrtum 2: Da lassen wir mal schnell Google Analytics drüberlaufen, dann wissen wir über unsere Kunden bescheid

Erstens liefert „kurz“ zwar meistens viele Daten, ob man mit ihnen dann auch etwas anfangen kann, bleibt fraglich. Zweitens liefert die Web-Analyse vor allem quantitative Daten, denen man zwar beispielsweise entnehmen kann, dass die Bounce-Rate der Startseite 81% beträgt, dass diese Nutzer also direkt wieder abspringen, ungeklärt bleibt jedoch warum sie das tun. Jetzt kann man sich natürlich durch endloses Hypothesenbilden und multivariates oder AB-Testing daran machen, das herauszufinden, man kann aber auch einfach mal Nutzer fragen, was sie daran hindert zu bleiben. Nichts gegen AB-Tests. AB-Tests sind, wie der Name schon sagt, großartig für binäre und damit „kleine“ Entscheidungen. Ob ich mich für Positionierung A oder B eines Buttons entscheide, kann ich damit in aller Eindeutigkeit beantworten. Ob ich die Bedürfnisse der Kernzielgruppe treffe jedoch nicht.

Irrtum 3: Wir brauchen einen Experten, der soll die Fehler beheben

Guter Ansatz aber immer der zweitbeste. Ein Experte nähert sich den Fehlern der Anwendung in der Regel mit Personas und Use Cases. Da beide, in den Fällen wo man Nutzerbefragungen umgehen will, meist nicht in valider Form vorhanden sind, wird mit Hypothesen oder Heuristiken vorgegangen. Hat der Experte Branchenexpertise und schon einige Befragungen in diesem Sektor gemacht, ist das ein guter, erster Schritt. Besser ist es jedoch immer, mit validen und fallspezifischen Insights zu arbeiten. Siehe auch …

User Centered Design Users are losers

Irrtum 4: Das war dort so, das ist hier auch so

Best-Practise Denke. Ist oft richtig, aber nicht immer. Wie wir wissen, sind Menschen komisch. Über die Jahre hat sich jeder Einzelne ein Fremdbild vom Unternehmen erarbeitet, das mit dem Selbstbild des Unternehmens, das in Kampagnen gezeigt wird, oft wenig zu tun hat. Ein Versicherer zum Beispiel, präsentiert sich selbst als kundenfreundlich, weil seine Abschlussformulare endlich auch auf dem Smartphone ausgefüllt werden können. Gleichzeitig kassiert er aber viel Unmut, weil Kunden im Schadenfall erstmal von der Rechtsabteilung behelligt werden, anstatt die ihnen zustehende Hilfe zu erhalten, für die sie die Versicherung überhaupt abgeschlossen und jahrelang bezahlt haben.

Dieses so gewachsene Fremdbild sorgt auch dafür, dass Kunden jedem Unternehmen andere Erwartungshaltungen entgegenbringen. Im Kleinen lässt sich das gut ablesen an der Platzierung von Interaktionselementen an einer bestimmten Stelle im Abschlussprozess: Bei dem einen Unternehmen sorgt sie für mehr Abschlüsse, bei anderen jedoch für Einbrüche. Im Großen daran, dass von manchen Unternehmen ganz andere Leistungen erwartet werden als von anderen.

User Centered Design Listen&Learn

Irrtum 5: Wir kümmern uns um die Bedürfnisse von Kunden, weil Kunden für Umsatz sorgen

Trifft als Gedanke meist genau in dieser Form zu. Ist aber nicht nutzerzentriert. Und zugleich der am schwersten zu vermittelnde Irrtum. Ich versuch’s mal. Nutzerzentrierung ist ein Mindset, das eine bestimmte Fragestellung erfordert. Die zentrale Frage – und damit das dazugehörige Mindset – sollte lauten: „Wie können wir Dir helfen?“. Wie sich diese Frage in ihrer Auswirkung von „Wie lässt er möglichst viel Geld bei uns?“ unterscheidet, erlebt man als Nutzer häufig in klassischen Service-Bereichen wie Restaurants oder Krankenhäusern. Meist so, dass man kein zweites Mal dort aufschlägt.
Anders gesagt: Man kann die User Needs ins Zentrum der Betrachtungen stellen oder die Business Needs. Am Ende wird der Kunde es den Ergebnissen anmerken.
Übung, Awareness und ein paar bereits durchlaufene Stufen der Transformation machen es klassischen Unternehmen leichter, diese Mindset zu verinnerlichen.

Ganz ohne Frage: Eine konsistente Business-Strategie ist wichtig. Aber am Ende entscheidet der Nutzer. Die derzeit erfolgreichsten Unternehmen der Welt, wie Apple oder Google, haben ihren ursprünglichen Erfolg dieser Haltung zu verdanken.

User Centered Design gimme yo money

Irrtum 6: UX Designer sind die Anwälte des Nutzers

Habe ich früher auch mal behauptet. Aber je länger ich diesen Satz ansehe, umso absurder wird er. Er spricht von einer Welt, in der Nutzerbedürfnisse ständig verteidigt und erkämpft werden müssen. Im Umkehrschluss bedeutet er, dass sich im Projekt oder im Unternehmen – außer dem UX Designer – keiner um die Nutzer kümmert. Und das ist definitiv kein nutzerzentriertes Umfeld.

Irrtum 7: User Research ist teuer

Erste Schritte sind nicht schwierig und das beste Rezept ist es, einfach damit zu beginnen. In vielen Fällen reichen beispielsweise simple Papierprototypen aus. Wenn Anwendungen sich nicht an einen sehr spezialisierten Nutzerkreis richten, kann man viele Fehler bereits mit kleinen Durchläufen mit zufälligen, projektfernen Personen finden. Spezialisierte Dienstleister bieten Online-Umfragen mit der passenden Zielgruppe für sehr wenig Geld an. Manche Research-Bausteine werden sogar günstiger, wenn man sie häufiger durchführt, da die Vorbereitung entfällt. Und ja, es gibt natürlich auch kostenintensive User Research, aber nur eins ist sicher: Richtig teuer wird es nur, wenn sie nicht stattfindet.

Zusammengefasst:

  • Nutzer denken anders als ich
  • Quantitative Daten beantworten die Warum-Frage nicht
  • Expertenurteile sind immer die zweitbeste Wahl
  • Best-Practise auch
  • User Centered Design benötigt ein entsprechendes Mindset
  • Ein Projekt, in dem Nutzerbedürfnisse verteidigt werden müssen, ist nicht nutzerzentriert
  • User Research ist vor allem dann teuer, wenn man sie nicht macht

Als Fazit nur das: User Centered Design ist Einstellungssache und geht nur mit Usern. Und mit einem Projekt-Team, das konsequent deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.

User Centered Design Humans matter

Katja Paar

Digital Strategist, Storyteller, Visualizer, Moderator, Design Thinker, Speaker, UX Enthusiast, Workshop-Pro, Trainer, Hiker, Salsera, Head of Strategy & Design bei mediaworx (linkedIn)

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